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Die Sage von Kuno und Else
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts lebte in Spangenberg der Bürgermeister Sinning. Durch den frühen Tod seines lieben Eheweibes war er vereinsamt und verbittert. Der einzige Trost seines Alters war seine liebreizende Tochter Else, mit der der gestrenge und ehrgeizige Herr Bürgermeister gar hochfahrende Pläne hatte. Sein Lieblingswunsch war, daß Else einmal einen Mann von Rang und Stand ehelichen sollte, Franz, den Sohn des landgräflichen Schultheißen. Aber Elses Liebe galt insgeheim Kuno, einen schlichten Bürgersohn, der sich wegen seines aufrechten und geraden Wesens in der ganzen Stadt besonderer Beliebtheit erfreute.
Eines Tages erkrankte der Bürgermeister so schwer, daß er Pater Hilarius, seinem Freunde und Beichtvater Elses, gelobte, daß Else an ihren 21. Geburtstag sich mit dem Mann ihrer Wahl und Liebe anverloben dürfte, wenn er diesen Tag noch erlebe.
Als mit der Genesung auch der Geburtstag Elses herankam, da verkündete er in einer feierlichen Ratssitzung, daß er zunächst den Plan gefaßt habe, Spangenberg die so dringend nötige und seit langem ersehnte Wasserleitung zu geben, damit in Zukunft aller Wassermangel in der Stadt behoben sei. Und als er dann die Verlobung seiner Tochter bekanntgeben wollte, da führte diese an ihrer Hand Kuno herein, der die Stadt für längere Zeit verlassen hatte, weil der Bürgermeister von einer Verbindung zwischen ihm und Else nichts wissen wollte. Er hatte inzwischen in Morschen das Böttcherhandwerk erlernt. Der Bürgermeister, der nicht im Entferntesten mehr an Kuno gedacht hatte, geriet in heftigen Zorn und wollte ihn abführen lassen. Aber er hatte nicht mit dem Unwillen der Bürgerschaft gerechnet, die ob seiner Halsstarrigkeit laut ihrer Empörung Luft machte, auch nicht mit Pater Hilarius, der ihn an sein Gelübde erinnerte. Da faßte sich der Bürgermeister und willigte unter der Bedingung in das Verlöbnis ein, daß Kuno sich bereit erkläre, binnen drei Monaten die Wasserleitung fertigzustellen, ohne jede fremde Hilfe, ohne Meister, Gesellen oder Lehrling.
Alle Vorstellungen fruchteten nichts, der Bürgermeister blieb hart, und Kuno ging auf die Bedingung ein. Else aber rief frohlockend aus: „Ich bin nicht Meister, noch Geselle oder Lehrling, ich darf ihm helfen und will dem Vater zeigen, was Liebe und Treue vermag!“
Unverzüglich begaben sich die beiden Liebenden an die Arbeit. Knapp war die Frist bemessen, sehr knapp. Und groß war das Werk! Da mußten Gräben ausgehoben, Bäume gefällt und Röhren geschnitzt werden. Die Aufgabe ging schier über ihre Kräfte. Mehr als einmal drohte sie der Mut zu verlassen, und Wehmut beschlich Kunos Herz, wenn er zusehen mußte, wie Else von Tag zu Tag schwächer und schmäler wurde. Auch ihn drohten die Kräfte zu verlassen. Aber jeder Glockenschlag trieb die Liebenden mahnend wieder an die Arbeit. Die Angst, sie könnten die Frist versäumen, spornte sie immer wieder an. Und was keiner für möglich gehalten, das schaffte ihre Liebe. Der letzte Graben war gezogen, die letzte Röhre gelegt, und mit dem Glockenschlag des letzten Abends, den ihnen die Frist gelassen hatte, leitete Kuno das silberhelle Wasser in die Röhren.
In der Stadt hatte man ihre Arbeit mit höchster Spannung verfolgt. Die Jugendfreunde waren oft hinausgezogen, ihnen Stärkung zu bringen, und immer wieder hatten sie Kuno und Else durch frohe Lieder bei der Arbeit angefeuert. Nun war es so weit. Das Volk versammelte sich an den Brunnen, und als der letzte Schlag der Abendglocke verhallte, da brauste und rauschte es in den Röhren; und klar und hell floß das köstliche Wasser in die Brunnenkümpe. Ein ungeheurer Jubel erscholl; aber dann machte man sich eilends auf, das tapfere Paar im Triumphzuge heimzuholen zu glücklicher Hochzeit. Doch als man hinaus kam vor die Stadt, da fand man Kuno und Else dort, wo der Damm durchbrochen war - in kniender Stellung, im Tode sich umschlungen haltend.